Innovationskraft der deutschen Medizintechnikindustrie stärken

Advanced Systems Engineering soll Produktionskosten für KMU senken und Designflexibilität erhöhen: Beispielhafte Erprobung an Anwendungsfällen aus den Bereichen In-vitro-Diagnostik, Medizinprodukte und Implantate

Presseinformation /

Die Medizintechnikbranche steht durch Digitalisierung, neue Fertigungstechnologien und geänderte regulatorische Rahmenbedingungen vor großen Herausforderungen. Um die Innovationskraft der KMU-getriebenen deutschen Medizintechnikindustrie zu stärken, soll das im Oktober 2020 gestartete BMBF-Verbundprojekt »EUREKA-AMeLie: Neue Advanced Systems Engineering-Methoden für Entwicklungsprozesse anhand von Produktbeispielen aus Medizintechnik und Lifesciences« neue Möglichkeiten für eine Struktur zur vernetzten Produktentwicklung schaffen. Klassische Ansätze und Methoden des Systems Engineering entlang des V-Modells werden auf ihre Anwendbarkeit hinsichtlich neuer Herausforderungen geprüft und unter Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Aspekte zeitgemäß interpretiert und neu entwickelt.

© Fraunhofer IBMT, Bernd Müller.
Multiwell-Platte mit gedruckten Elektroden .

Heutzutage werden Produkte immer komplexer – unterschiedliche Fachdisziplinen mit vernetzten Anwendungen müssen bei der Produktentwicklung zusammenspielen. Das gilt insbesondere auch für neue Produkte in der Medizintechnik. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sind auf diese zunehmende Komplexität oftmals nicht ausreichend vorbereitet. So verstärkt beispielsweise die neue europäische Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR) die Herausforderung der KMU in Hinblick auf die Zertifizierung neuer und bestehender Produkte. So müssen beispielsweise bestehende Medizinprodukte aufwändig rezertifiziert, modifiziert und verifiziert bzw. validiert werden. Selbst Materialien, die bereits für den Gebrauch im menschlichen Körper zertifiziert waren, müssen nun den Zertifizierungsprozess erneut durchlaufen. Das lässt die Entwicklungszeiten und -kosten für einzelne Produkte steigen. Um die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der KMU-getriebenen deutschen Medizintechnikindustrie zu stärken, sind daher neue Möglichkeiten und Pfade für eine Struktur zur vernetzten Produktentwicklung notwendig.

Architektur-Framework für KMU im Bereich Advanced Systems Engineering

In den kommenden drei Jahren wird ein europäisches Konsortium im neuen BMBF-Verbundprojekt »EUREKA-AMeLie« ein Architektur-Framework für Medizintechnik-KMU entwickeln und Konzepte, Leitfäden und Richtlinien zur Einführung und Umsetzung von Advanced Systems Engineering (ASE) aufbauen bzw. überarbeiten. Klassische Ansätze und Methoden des Systems Engineering entlang des V-Modells werden auf ihre Anwendbarkeit hin geprüft und mittels arbeitswissenschaftlicher Aspekte zeitgemäß interpretiert und neu entwickelt. Die erarbeiteten Konzepte sollen in Form von softwarebasierten Anwendungstools implementiert und zusammen mit den beteiligten Medizintechnik-Unternehmen an vier realen Anwendungsfällen aus den Bereichen In-vitro-Diagnostik, Medizinprodukte und Implantate erprobt, demonstriert und validiert werden. Den Produkten aller Anwendungsfälle ist gemeinsam, dass bisherige Produktionsprozesse durch drucktechnische Methoden ersetzt werden sollen, um die Produktionskosten zu senken und eine höhere Designflexibilität zu erhalten. Ein weiteres technisches Ziel sind robustere Lösungen für die elektrische Anbindung von flexiblen Dünnfilmelektrodenstrukturen an widerstandsarme und weniger flexible Zuleitungen.


Über 20 Jahre Fraunhofer IBMT-Expertise im Einsatz


Das Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT entwickelt seit mehr als 20 Jahren Medizinprodukte, darunter auch aktive Implantate und Implantatkomponenten wie beispielsweise Elektroden auf der Basis von dünnen Polymerfilmen. Ein entscheidender Vorteil gegenüber anderen Substratmaterialien ist deren hohe Flexibilität, die sehr gut den mechanischen Eigenschaften von biologischem Gewebe entspricht.

Das Fraunhofer IBMT erhofft sich von dem Forschungsprojekt »EUREKA-AMeLie« neue Methoden und Werkzeuge, die in zukünftigen bilateralen Projekten mit der Industrie vorteilhaft genutzt werden können, um die komplexe Entwicklung medizintechnischer Produkte besser zu beherrschen.

Im Projekt »EUREKA-AMeLie« erforscht das Fraunhofer IBMT zum einen Prozesse zum Drucken von Elektroden auf Polyurethansubstraten unter Verwendung von leitfähigen Polymeren. Weiterhin soll ein Prozess zum Drucken eines Polyimidsubstrats und der Elektroden, Zuleitungen und Isolationsschichten erarbeitet werden. Der Schwerpunkt liegt darüber hinaus auf einer neuen Entwicklungsmethodik am Beispiel einer Mikrofluidik und deren Kombination mit gedruckten Elektroden sowie der Entwicklung einer mit diesem System kompatiblen Aufbau- und Verbindungstechnik für die moderne Zelldiagnostik.

Das Fraunhofer IBMT greift auf seine Vorerfahrung in verschiedenen Projekten im Drucken von Elektroden zurück, beispielsweise für Anwendungen auf der Haut oder für Sensoren im Wellplattenformat. Die Arbeitsgruppe »Zellmodelle & Toxikologie« steuert ihre Erfahrung in der Entwicklung maßgeschneiderter mikrofluidischer Systeme für In-vitro-Diagnostik-Produkte, im Drucken von Elektroden für biomedizinische Anwendungen sowie in der Aufbau- und Verbindungstechnik bei.

Als Forschungsinstitut unterstützt das Fraunhofer IBMT die industriellen Partner des Vorhabens darin, Methoden der Drucktechnik und der Aufbau- und Verbindungstechnik für die vier Beispielprodukte zu entwickeln. Weiterhin soll untersucht werden, inwieweit sich dafür die entwickelten Methoden des ASE eignen bzw. welche weitere Anpassungen nötig sind. Das Fraunhofer IBMT bildet die Schnittstelle zwischen medizinischer Anwendung und Systemtechnik, koordiniert die technologische Entwicklung zwischen den Partnern mit einem Fokus auf additiven Fertigungstechnologien (z. B. Ink-Jet-Druck) und unterstützt bei der Adaption von Produktionsprozessen an die Erfordernisse der Beispielanwendungen.

Sechs transnationale Forschergruppen kooperieren für den Erfolg

Im transnationalen Förderprojekt »EUREKA-AMeLie« arbeiten künftig sechs Forschergruppen aus Deutschland (fünf Firmen, ein Forschungsinstitut) mit vier Forschergruppen aus Israel (zwei KMU, eine Universität, ein Forschungsinstitut) zusammen. Die beteiligten deutschen KMU profitieren durch die europäische Kooperation mit den EUREKA-Partnern von deren internationalen Geschäftsverbindungen und dem Zugang zu ausländischen Märkten. Gerade im Bereich der Medizintechnik sind israelische Firmen und Universitäten für ihre hohe Innovationskraft bekannt.

BMBF-Verbundprojekt: »Neue ASE-Methoden für Entwicklungsprozesse anhand von Produktbeispielen aus Medizintechnik und Lifesciences«; Akronym: EUREKA-AMeLie

Fördermaßnahme: »Beherrschung der Komplexität soziotechnischer Systeme – Ein Beitrag zum Advanced Systems Engineering für die Wertschöpfung von morgen (PDA_ASE)« im Programm »Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen« des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)

Projektlaufzeit: 01.10.2020 – 30.09.2023